gelbes_gilatier: (Sprache an sich und ansonsten)
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Hmjaalso...

Nach ein paar Momenten war auch Justine wieder bei klarem Verstand und kam zu mir herüber. Ich kniete inzwischen neben dem bewusstlosen Hauptmann und untersuchte ihn auf Verletzungen. Und davon hatte er reichlich. Eigentlich war sein ganzer Körper eine einzige Masse von Striemen, vermutlichen Bisswunden, Platzwunden und aller Arten von Prellungen.

 Jetzt hatte sich auch Justine neben mir niedergelassen, aber ich sagte nur ohne sie anzusehen: „Ich komm’ hier klar. Kümmer dich um die Pferde.“ Sie sagte nichts, und ging nach einem Moment hinüber zu den beiden am Boden liegenden Pferden. Im Grunde meines Herzens kam ich fast um vor Sorge um meine treue Stute, aber ich hatte gelernt, das zu ignorieren. Stattdessen hatte ich mich soweit in der Gewalt, dass ich methodisch die Verletzungen zu versorgen versuchte.

 Aber nach nur ein paar Momenten gab ich es auf. Er blutete einfach aus zu vielen Wunden. Ich war kurz davor, vor Frustration und Erschöpfung und Schmerz loszuheulen, aber auch das hatte man mir ausgetrieben. Was nichts daran änderte, dass ich verdammt noch mal nicht über genügend Energie und Wissen verfügte, um das zu heilen. Ja, ich hatte durch Versuch und Irrtum und Aufschnappen ein paar Heilsprüche gelernt, aber das… nein, das war zuviel. Und Justine… als Pfützenmagierin wusste sie nicht viel mehr als ich über das Heilen, da war ich mir sicher. Außerdem hatte ich bei ihr irrsinnigerweise das Gefühl, dass sie zur Kampfmagierin geboren war und nicht zur Heilerin.

 Ich merkte erst, dass sie wieder neben mir saß, als ich eine schwache, flackernde Aura neben mir wahrnahm, die einen Hauch von angenehmer feuchter Kühle mitbrachte. Ich sah auf. Sie sah mich aus großen Augen an, und die Schatten darunter ließen ihr Gesicht um Jahre älter aussehen. Sie musste sich völlig verausgabt haben. „Justine…“

 „Ich hab… die Pferde… ich hab alles gegeben und sie… ich glaube, es geht ihnen wieder gut.“ Ich brachte sogar ein Lächeln zustande. „Gute Arbeit, Pfützenmagierin.“ Aber dann wurde ich schlagartig wieder ernst und wies mit einer hilflosen Geste auf den Hauptmann. „Aber das hier… ich kann das nicht. Es reicht einfach nicht.“ Damit hatte ich ihr einen Teil meines Inneren gezeigt, den nicht mal meine Schwester allzu oft zu sehen bekam. Den, den ich selber nicht gerne sah. Aber in diesem Moment war mir sowieso alles egal. Der einzige Hinweis, den ich auf die Entführer meiner Schwester hatte, und er lag im Sterben.

 „Herrin…“ Ich sandte ihr einen vernichtenden Blick. Aus irgendeinem Grund wollte ich seit diesem Moment nie wieder so von ihr genannt werden. „Ti’an… auf der anderen Seite ist ein Tempel der Vier Elemente. Bekannt für seine Heilkundigen…“ Die andere Seite. Auf einmal schien es, als wäre sie Jahre entfernt. Ewigkeiten entfernt.

 Ich spürte, wie etwas weiches mich von hinten anstupste. Wie von selbst bewegte sich meine Hand nach oben und liebkoste Castans Schnauze. Sie schnaubte, und ich glaubte, eine gewisse Missbilligung zu erkennen. Und wenn es tatsächlich so war, dann hatte sie im Grund ja auch Recht. Man hätte mich nicht zum Offizier gemacht, weil ich eine war, die beim Anblick von Schwierigkeiten sofort aufgab oder eine, die ihre Leute zurückließ, und ich wusste das. Man hatte einen Grund gehabt, und wenn ich meinen Spangen gerecht werden wollte, dann gab ich jetzt auch nicht auf. Mit einem Ruck, der mehr Energie vortäuschte als ich tatsächlich hatte, stand ich auf.

 „Du nimmst den Wallach vom Hauptmann. Wir hieven ihn auf Castan, und ich setze mich dahinter und dann machen wir, dass wir aus diesem verfluchten Wald rauskommen.“ Sie gab keine Widerworte, sondern sah sogar erleichtert aus darüber, dass jemand ihr sagte, was zu tun war. Ich konnte sie verstehen.

 So schnell wie nur irgend möglich suchten wir unsere Sachen zusammen, reinigten sie notdürftig und packten sie auf die Pferde. Das Letzte, was ich vor dem Losreiten tat, war zu der Kreatur hinüber zu gehen und den Dolch des Hauptmanns aus deren Rücken zu entfernen. Als ich ihn anfasste, zischte es und meine Handfläche wurde verbrannt, aber mir war das egal.

 Aus irgendeinem Grund war es mir wichtig, den Dolch mitzunehmen. Etwas sagte mir, dass, sollte der Hauptmann überleben, er den Dolch vermissen würde. Vorsichtig schlug ich die Waffe in ein Tuch ein und steckte sie in meine Satteltasche. Dann endlich konnten wir losreiten.


***

„Wisst Ihr, was es für eine Kreatur war, die Euch angegriffen hat?“ Der Priester in der grauen Robe des Luftordens bedachte uns beide mit einem skeptisch-besorgten Blick, der mir nicht gefiel. Und ich alles, was ich wollte waren ein Bett für Justine und mich und ungefähr 3 Tage Schlaf. Aber an die war wohl immer noch nicht zu denken. Ich fuhr mir mit einer müden Bewegung durch die völlig verschwitzen Haare und schüttelte den Kopf. „Nein. Groß, haarig, rote Augen, Klauen…“

 „Ein Werwolf also?“ Alles, dachte ich, alles, nur das nicht. Kein Werwolf. Bitte Göttin, kein Werwolf. Ich schüttelte den Kopf. „Ich… es war bereits früher Morgen. Werwölfe sind doch… nur nachts unterwegs. Und der Dolch… der war nicht aus Silber, aber er hat es trotzdem erledigt.“

 Der Priester sah nicht gerade überzeugt aus. Aber er seufzte ein wenig schicksalsergeben und sagte dann: „Wie dem auch sei… es sieht nicht gut aus für Euren Hauptmann. Das Ding hat ihn übel zugerichtet, und wir… müssen sehen, ob wir überhaupt etwas für ihn tun können.“ Ich nickte nur müde, und spürte neben mir Justines Aura immer schwächer werden. Die Kleine war hundemüde, genau wie ich. Zeit, dass wir ins Bett kamen. „Eure… Exzellenz… gibt es hier die Möglichkeit, sich… auszuruhen? Wir sind beide erschöpft.“

 Der Priester hob eine Augenbraue, wie um zu sagen: „Es ist gerade früher Morgen, junge Dame.“, aber er hielt sich zurück und winkte einen Novizen heran. Der Junge – seine etwas spitz zulaufenden Ohren wiesen ihn als jemanden mit Elfenblut aus – verbeugte sich kurz vor dem Priester und uns und führte uns dann auf Geheiß des Priesters in ein Nebengebäude des Tempels. Offenbar wurden hier die im Sommer in Scharen ankommenden Pilger versorgt. Die Betten waren einfach, mit Strohmatratzen, Wolldecken und einem Strohsack als Kissen, aber sie sahen sauber aus und waren alles, was man sich wünschen konnte.

 Sofort als der Junge weg war, ließ ich mich mit einem wohligen Seufzen auf einer der Pritschen nieder und wäre fast sofort eingeschlafen, wenn mir nicht eingefallen wäre, dass es klüger wäre, zumindest Waffengehänge, Stiefel und Kettenhemd abzulegen, wenn ich einigermaßen ruhig schlafen wollte.

 Etwas neidisch sah ich zu Justine hinüber. Sie hatte nur ihre Magierrobe, ein paar gefütterte Winterstiefel und einen Wintermantel an. Nachdem sie sich ihrer Stiefel entledigt hatte, hatte sie sich so wie sie war auf dem Bett zusammengerollt und musste sofort eingeschlafen sein. Ich wusste, dass es durchaus möglich war, dass sie mindestens zwei Tage durchschlief, denn sie musste sich beim Kampf und später beim Heilen fast völlig verausgabt haben.

 Mit einem Ächzen entledigte ich mich meiner Bürden, auch, wenn ich immer wieder zusammenzuckte, wenn meine verbrannten Handflächen zu sehr belastet wurden. Als ich endlich fertig war, rollte auch ich mich in meinen Umhang ein und schloss mit einem Seufzen meine Augen.

 Nur ein paar Momente später – jedenfalls erschien es mir so – merkte ich, wie wieder einmal jemand an meiner Schulter rüttelte und versuchte, mich aufzuwecken. Mit einem Grunzen versuchte ich die Hand loszuwerden, aber da war jemand wirklich hartnäckig. Mir war aber wirklich nicht nach Aufstehen. In meinem Kopf schien sich eine Zwergenbinge zu befinden, und ich selbst schien mich im Schlund eines Vulkans zu befinden. Heiß genug war mir jedenfalls.

 „Leutnant… wacht auf. Man braucht euch im Tempel.“, hörte ich eine junge Stimme sagen und wollte ihr die miesesten Flüche auf den Hals hetzen, die ich kannte. Leider bekam meine ausgedörrte Kehle nur ein Krächzen zustande. Wie durch Watte hörte ich die Stimme dann sagen: „Herrin… Exzellenz, hier… stimmt was nicht.“ Natürlich, dachte ich, ich bin mitten in einem Vulkan. Da stimmt was ganz gewaltig nicht.

 Ich spürte, wie man mich auf den Rücken drehte und wollte gerade protestieren, als ich plötzlich eine kühle weiche Hand auf meiner Stirn fühlte. Eine andere Stimme sagte: „Du hast völlig recht, Maarian. Sie glüht förmlich.“ Ich spürte, wie jemand begann, meinen Körper methodisch nach irgendwas abzusuchen und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass man endlich damit aufhören und mich in Ruhe lassen würde. Wäre das schön, wieder einschlafen zu können…, war mein einziger Gedanke.

 Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen spürte ich, wie etwas Kühles und Feuchtes um meine Hände gewickelt wurde. Wäre ich dazu in der Lage gewesen, hätte ich wohlig geseufzt. Endlich hörte dieses Brennen auf. Ich fühlte die Hand wieder auf meiner Stirn, und kurz danach breitete sich ein unglaublich erleichterndes Gefühl in mir aus. Es war, als würde ich langsam in die erfrischenden Fluten eines Bergsees im Sommer gleiten, bis ich völlig unter Wasser war. Ich sog tief die Luft ein und plötzlich brachte meine Kehle einen Laut zwischen Seufzen und Stöhnen zustande.

 Ich schlug die Augen auf. Über mich gebeugt saß eine Frau um die Vierzig in der tiefblauen Robe einer Wasserpriesterin. Als sie entdeckte, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte, glitt ein kurzes Lächeln über ihre ansonsten gleichmütigen Züge. „Ah, Leutnant, wie gut, dass Ihr so schnell wieder zu uns gefunden habt. Wir brauchen Euch und die Magierin.“ Vorsichtig setzte ich mich auf und warf einen kurzen Blick auf die noch schlafende Justine. Dann sah ich zu der Priesterin zurück.

 „Die Magierin werdet Ihr nicht wach bekommen. Und das ist wohl auch gut so.“ Göttin, begann ich etwa, so etwas wie Kameradschaft oder gar Beschützerinstinkt der kleinen verwöhnten, ängstlichen Göre gegenüber zu entwickeln? Ich entschied mich, besser einfach nicht mehr darüber nachzudenken. Stattdessen wandte ich mich endgültig wieder der Priesterin zu. „Worum geht’s eigentlich?“

 Die Priesterin tauschte einen Blick mit ihrer Novizin. Nur den Bruchteils eines Moments lang, aber ich konnte es trotzdem sehen. Und es gefiel mir ganz und gar nicht. Und noch weniger gefiel mir der Blick, den sie mir dann zuwarf. „Besorgt“ beschrieb es wirklich nur unzureichend. „Es gibt… Probleme mit Eurem Hauptmann.“

 Ich hob eine Augenbraue. „Probleme? Und er ist nicht mein Hauptmann. Wir sind… nur zufällig zusammen unterwegs.“ Musste ja nicht jeder gleich wissen, dass wir auf der Jagd nach ein paar durchgeknallten religiösen Fanatikern – oder was auch immer sie waren – waren. Die Priesterin behielt erstaunlicherweise ihren Gleichmut bei. „Wie dem auch sei… wir befürchten, dass er die Nacht nicht überleben wird. Seit Stunden geben unsere Heiler ihr Bestes, aber… er ist zu geschwächt, um aus eigenen Kräften gegen die Verletzungen ankämpfen zu können.“

 Göttin… ich hatte das doch erwartet… aber wieso war mir bei dem Gedanken, dass der Hauptmann seinen Verletzungen erliegen würde nur so flau zumute? Zu sagen, dass es nur aus dem einen Grund war, dass er die einzige Verbindung zu der ganzen Entführungsgeschichte war, wäre glatt gelogen. Aber es war zu dieser Zeit die einzige akzeptable Erklärung, also klammerte ich mich daran, dass mir nichts – aber auch wirklich nichts – an der Person des Hauptmanns gelegen war. Offenbar war mein Gesicht wohl mal wieder ein offenes Buch gewesen, denn die Priesterin fuhr fort: „Wir haben uns lange beraten und eine Möglichkeit gefunden, die ihm helfen könnte zu überleben.“

 Die Frage „Und wozu braucht Ihr mich bei der ganzen Geschichte?“ muss wohl auch deutlich in meinem Gesicht gestanden haben, denn sie sagte: „Wir brauchen… aber Eure Kooperation dazu. Nun ja, entweder Eure oder die der Magierin. Aber da Ihr der Meinung seid, dass wir die Magierin besser nicht wecken sollten… Kommt Ihr als einzige in Betracht.“

 „Als einzige für was?“ Mein Ton musste eine Spur zu scharf gewesen sein, denn die Novizin zuckte sichtbar zusammen. Die Priesterin blieb allerdings immer noch ruhig. „Für einen Bund.“

 Ich sog scharf die Luft ein. „Einen was? Seid Ihr noch ganz…“ Ich räusperte mich. Einer Priesterin – und dann noch einer meines Ordens – dermaßen respektlos zu kommen, das wagte nicht mal ich. Etwas gemäßigter fuhr ich fort: „Das ist… ausgeschlossen. Ich bin eine Wassersoldatin, falls Euch das noch nicht aufgefallen ist. Ich könnte niemals mit einem Feuersoldaten den Bund eingehen.“

 Die Priesterin sah mich mit einem seltsamen rätselhaften Blick an und sagte dann: „Es sind schon seltsamere Dinge passiert, Leutnant. Und es ist die einzige Chance, das Leben des Hauptmanns zu retten. Er braucht Eure Energie. Habt Ihr nicht auch wie alle Soldaten Seiner Majestät geschworen, das Leben Unschuldiger und Schwacher zu verteidigen?“ Das war ein verdammter Tiefschlag, und ich war mir ziemlich sicher, dass die Priesterin es wusste. Wie konnte sie nur? Mit dieser Argumentation musste ich ja zusagen. Aber ich war nicht gewillt, so schnell aufzugeben.

 „Das habe ich. Aber der Hauptmann… ich kann nicht. Ich kann mich nicht mit einem Feuersoldaten Verbinden. Der Bund wäre instabil, ganz zu schweigen von der Frage, ob er überhaupt zustande kommen würde. Soweit ich weiß, muss er doch von beiden Seiten freiwillig eingegangen werden, oder?“ Die Priesterin nickte. Natürlich musste er. Der Bund – eigentlich hieß es „Waffengefährten“ – war die heiligste aller Verbindungen, die es im Reich gab.

 Er wurde zwischen zwei Soldaten geschlossen, meistens Angehörige der Schweren Boten Seiner Majestät. Man sagte, dass Waffengefährten immer voneinander wussten, wo sich der andere befand und wie es um ihn bestellt war. Man sagte auch, dass sie telepathisch miteinander in Verbindung standen. Aber vor allem… vor allem sagte man, dass ihre Lebensernergien untrennbar miteinander verbunden waren. War der eine verletzt, so teilte der andere automatisch seine Lebensenergie mit ihm, so lange bis er wieder genesen war. War der eine todmüde, so teilte der andere seine Lebensenergie so lange mit ihm, bis er wieder ausgeruht genug war. Das Gleichgewicht der Energien musste immer gewahrt sein. Was am Ende eines hieß: Starb der eine, würde auch der andere sterben. Oder zumindest zum geistigen Krüppel werden. Die Geister schieden sich immer noch etwas an dieser Frage.

 Der Bund wurde fürs Leben geschlossen, und ich hatte noch von keinem gehört, der ihn je vorzeitig gelöst hatte. Es ging vermutlich einfach nicht. Normalerweise bereitete man potentielle Waffengefährten mindestens ein Jahr, meistens viel länger auf diese Sache vor. Man ließ sie Tag und Nacht miteinander verbringen, man stellte sicher, dass sie sich ihrer Sache wirklich völlig sicher waren… und man schärfte ihnen immer und immer wieder ein, dass sein eines nicht durften: Gefühle, die tiefer als Freundschaft oder Kameradschaft gingen, füreinander zu entwickeln. Die Waffengefährten, die ich kannte, hatten einen seltsam vertrauten und gleichzeitig distanzierten Umgang miteinander an den Tag gelegt. Erst, als mir einer von ihnen erklärte, was genau es mit dem Bund auf sich hatte, begann ich zumindest zu verstehen.

 Und das verlangte diese Priesterin jetzt von mir? Ich sollte mit einem mir völlig Unbekannten den Bund eingehen, mit dem ziemlich großen Risiko, dass es schief ging und ich dann zusammen mit ihm das Zeitliche segnete? Nur über meine Leiche. Ich sagte das der Priesterin, aber sie erwiderte nur: „Es ist das Einzige, das ihm helfen könnte. Ihr seid jung und stark, und Ihr habt Magie in Euren Adern. Verweigert ihm nicht die einzige Chance, die er hat. Und wenn Ihr es tut… dann müssen wir die Magierin wecken, ob Euch das nun passt oder nicht.“

 Sie hatte tatsächlich die Frechheit, mich rundheraus zu erpressen. Ich funkelte sie wütend an, aber was blieb mir denn anderes übrig? Sie hatte bereits an mein Gewissen appelliert, und das mit Erfolg, denn eben dieses meldete sich immer lauter zu Wort. Und sie hatte an meine Verantwortung für unsere kleine Magierin appelliert, und auch die war ziemlich laut. Nach einem weiteren wütenden Funkeln gab ich mich schließlich mit einem resignierten Seufzer zufrieden, die ganze Zeit über mit der verzweifelten Hoffnung, nicht eben meine eigenes Todesurteil unterschrieben zu haben.

 Mit einem kleinen zufriedenen Lächeln erhob sich die Priesterin und bedeutete mir und ihrer Novizin, ihr zu folgen. Zähneknirschend fügte ich mich in mein Schicksal.


***

Sie hatten sich alle Mühe gegeben, mir ein noch schlechteres Gewissen zu machen, und sie hatten vollen Erfolg damit. Als erstes nach meiner Entscheidung führte man mich in die Kammer, in der der Hauptmann lag, und der Geruch nach Krankheit, Heilkräutern und Verzweiflung hätte mich fast rückwärts wieder raus getrieben. Ich konnte sehen, dass sie wirklich alles menschenmögliche versuchten, aber er lag da auf der Pritsche mit eingefallenen Gesichtszügen, flacher Atmung und kaltem Schweiß auf der Stirn.

 Etwas in mir bewegte sich, und Mitgefühl kämpfte sich an die Oberfläche. Ich unterdrückte ein Seufzen. Was hatte ich denn auch erwartet? Ja, ich war zynisch. Ja, ich war desillusioniert. Ja, ich war nicht gerade eine Sympathieträgerin. Aber Göttin, ich war auch ein Mensch. Und irgendwann vor dem Krieg war ich auch mal ein junges Mädchen mit einer Schwäche für Helden gewesen. Etwas davon steckte wohl immer noch in mir.

 Ich trat an das Bett des Hauptmanns, und versuchte keinen allzu direkten Blick auf sein blasses, schweißglänzendes Gesicht zu werfen. Offenbar hatte man bereits alles für eine Bindungszeremonie vorbereitet – der Gedanke „Miese Bastarde“ schlich sich kurzzeitig in mein Hirn – und ein Priester in einer in leuchtenden Grüntönen gehaltenen Robe des Erdordens trat an mich heran. Ich war überrascht, dass ich seine erdig-kühle Aura selbst in diesem überhitzten Raum spüren konnte. Es irritierte mich maßlos, aber was tat man nicht alles, um ein Leben zu retten?

 Auf dem Kissen in den Händen des Priesters lagen ein Ritualmesser, eine Schale und zwei Amulette. Beim Anblick des Messers fing ich an, mich wirklich unwohl zu fühlen. Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich habe keine Angst vor Verletzungen, und ich kann Blut sehen, auch mein eigenes. Aber ich wollte immer noch nichts mit Magie zu tun haben, und Ritualmesser und Amulette sind so ziemlich die magischsten Gegenstände, die es gibt. Außerdem bin ich nicht gerade eine Freundin von Blutmagie, und das sollte ganz sicher welche werden.

 Es kursierten die wildesten Gerüchte, wie ein Bund geschlossen wurde, aber keines davon traf zu, wie ich ziemlich schnell erfuhr. Eine weitere Priesterin – es war die Wasserpriesterin, die mich geheilt hatte – trat an mich heran und nahm meine Handfläche und das Ritualmesser in ihre Hände. Sie nahm sich kurz Zeit, um den Verband zu entfernen. Während sie Worte in der Alten Sprache murmelte, zog sie dann das Ritualmesser langsam über meine Handfläche, während eine Feuerpriesterin in leuchtenden Rottönen dasselbe beim Hauptmann machte. Immerhin überstand ich das, ohne mich lächerlich zu machen.

 Der Erdpriester fing ein paar Tropfen unseres Blutes – ich bin mir sicher, dass die Menge ganz genau bemessen war – in der Schale auf und legte die Amulette kurz hinein, während auch er murmelte. Dann wurde jedem von uns eines der Amulette in die blutende Hand gelegt und dann wurden unsere Handflächen aneinander gepresst.

 Und was dann geschah… ich habe mich nie vollständig an alles erinnern können, auch wenn ich das immer wieder versucht habe. Ich weiß auch heute nur noch, dass mir zuerst unglaublich heiß wurde und dann Bilder auf mich einstürmten… Feuer, Hass, Blut, Tränen, noch mehr Feuer… ich, bei der Rückkehr von einem Überfall auf eine gegnerische Karawane in unsere Heerlager, ziemlich fertig, aber siegreich… eine Gestalt in einer dunkelroten Robe, eine Maske… Hass, Feuer…Und dann brach ich zusammen.

***

Diesmal wachte ich sehr langsam auf, ohne dass mich jemand schüttelte. Ich trieb eine Weile in den oberen Schichten des Schlafmeeres, ziellos und merkwürdig zufrieden… bis ich auf etwas traf, das merkwürdig war. Das Gefühl einer zweiten Präsenz in meinem Kopf. Schemenhaft, schwach… aber eben vorhanden. Mit einem Schlag war ich doch wach. Ich schreckte aus dem Schlaf und schlug die Augen auf. Nur um direkt in ein Paar dunkler Augen zu blicken, die mich ein bisschen spöttisch ansahen.

 „Guten Morgen, Ti’An. Ich darf doch Ti’An sagen?“ Ich wollte ihn erwürgen. Jetzt und sofort. Dafür, dass er so fröhlich war. Dafür, dass er die Frechheit hatte, diesen Morgen als gut zu bezeichnen. Dafür, dass es für ihn das normalste auf der Welt schien, dass er gestern – Vorgestern? Vor ein paar Stunden? – noch tödlich verletzt war und jetzt wieder die gute alte Nervensäge war. Dank meiner Lebensenergie, wohlgemerkt.

 Aber statt gewalttätig zu werden, drehte ich mich nur auf die andere Seite und murmelte so was wie „Wenn Ihr das noch mal macht, seid Ihr tot.“ Der Hauptmann jedoch hatte offenbar nicht die Absicht, meine Drohung für voll zu nehmen. Die Präsenz in meinem Kopf machte sich etwas stärker bemerkbar, und sie… fühlte sich spöttisch an. Anders kann man es einfach nicht beschreiben.

 Ich knurrte: „Verschwindet aus meinem Kopf, Hauptmann.“ Etwas, das sich wie ein mentales Schulterzucken anfühlte, folgte und dann sagte er: „Ich würde, wenn ich könnte, Ti’An. Und du bist auch nicht gerade ein angenehmer Gast.“ Schneller, als dass er darauf hätte reagieren können, hatte ich mich umgedreht und mich rittlings auf ihn gesetzt und hielt mit meinen Händen seine Arme an den Handgelenken über seinem Kopf fest. Ich hatte mein Gesicht so nah wie möglich an seines gebracht und zischte ihm ins Gesicht: „Nennt mich nie wieder, nie wieder bei meinem Vornamen. Und redet mich nie wieder mit du an. Ich schwöre Euch, es wird das letzte sein, das Ihr je tut, Bund hin oder her. Habt Ihr mich verstanden?“

 Für einen kurzen, furchtbaren Moment sah es fast so aus, als wolle er mich einfach küssen, aber stattdessen grinste er mich nur leicht schief an und sagte: „Klar und deutlich. Und Leutnant? Für eine Berittene Bogenschützin habt Ihr recht hübsche und weiche Schenkel.“ Ich schätze, ich lief in diesem Moment so rot wie eine yuffa-Wurzel an. Einmal, weil er mich nur noch wütender gemacht hatte und dann vor allem vor Scham. In meiner Aufregung hatte ich völlig vergessen, dass ich nur ein Nachthemd und Unterwäsche trug. Und auch noch eines, das mir nur bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.

 Der Hauptmann hatte meine momentane Lähmung gesehen und nutze seine Chance sofort, indem er seine Arme frei riss, mit seinen Händen meine Hüften umfasste und mich unsanft auf den Rücken drehte, so dass nun er rittlings auf mir saß. Er brachte sein Gesicht eben so nah an meines wie ich es vorher getan hatte und knurrte mich an: „Und jetzt bin ich dran: Ich werde Euch nennen wie es mir beliebt, und Ihr solltet nur Drohungen ausstoßen, die Ihr bereit seid zu halten. Ich kenne Euch. Ihr seid mutig, hitzköpfig und stur. Aber nicht lebensmüde. Und deswegen werdet Ihr mir kein Haar krümmen. Habt Ihr jetzt mich verstanden?“

 Bis zu diesem Moment hätte ich nie gedacht, dass ich den Hauptmann mal attraktiv finden könnte, aber etwas in seinem Verhalten – in der Art, wie er mich festhielt, in der Art, wie er gesprochen hatte, die Art, wie seine Präsenz in dunkle Erregung umschlug – und vor allem seine Stimme… erregten mich. Für ein paar Momente war ihn küssen alles, was ich tun wollte. Der Göttin sei Dank rettete mich Justines manchmal offenbar absolut unpassendes Timing.

 „Ti’An, Hauptmann… Oh. Ich… ich wollte nur…“ Schneller, als ich ihm zugetraut hätte, hatte sich der Hauptmann wieder von mir entfernt und sich soweit wie möglich zurückgezogen. Gut für ihn. Nachdem ich ihn geküsst hätte, hätte ich ihn unweigerlich und sofort kastrieren müssen. Oder ihm zumindest die Zunge heraus schneiden müssen. Niemandem sollte es erlaubt sein, mit dieser Stimme mit mir zu reden.

 Mit soviel Würde wie möglich setzte ich mich auf und sagte in einem Tonfall, der völlig lässig klingen sollte: „Der Hauptmann und ich mussten nur eine Meinungsverschiedenheit klären. Sobald wir uns angekleidet haben, kommen wir in den Speisesaal. Du kannst ruhig schon vorgehen.“

 Als sie mich ansah, konnte ich die Worte „Nur eine Meinungsverschiedenheit. Klar. Veralbern kann ich mich auch alleine.“ auf ihrer Stirn lesen, aber wir entschieden uns beide, es einfach zu ignorieren. Sie straffte ihre Magierrobe und richtete sich so gerade auf wie sie konnte. Dann sagte sie: „Natürlich. Ich… werde euch beiden Frühstück reservieren.“ Ich dankte ihr so selbstverständlich wie möglich. Als sie zur Tür raus war, hätte ich beinahe laut aufgeatmet. Nur die jetzt belustigte Präsenz in meinem Kopf hielt mich davon ab.

 „Keine Angst, Ti’An, wir können das sicher auf eine andere Gelegenheit verschieben.“ Göttin, wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment, ich hätte nie zugestimmt, mich mit ihm zu Verbinden. Denn ganz sicher hatte auch er das kurze Aufflackern freudiger Erregung in meinem Kopf gespürt. Mit einem undefinierbaren Grunzen machte ich mich daran, mich anzuziehen.

***

Ich war die erste, die hinunter in den Speisesaal ging. Es waren nur wenige der Plätze auf den langen, einfachen Holzbänken besetzt. Justine war weise genug gewesen, einen Tisch zu finden, der ansonsten unbesetzt war. Sie hatte sogar Wort gehalten und jeweils einen Becher Tee und eine Schüssel mit undefinierbarem dampfendem Brei für den Hauptmann und mich bereitgestellt. Ohne ein Wort ließ ich mich neben ihr nieder und begann, in meinem Brei herum zu stochern. Ich wagte bereits zu hoffen, dass ich für den Rest des Morgens nicht mehr gestört würde, aber die Hoffnung erwies sich als unbegründet.

 „Ti’An… was läuft da zwischen… dir und dem Hauptmann?“ Ich hätte fast den Löffel fallen lassen. Stattdessen grunzte ich irgendetwas Unverständliches und hoffte, dass Justine nun endlich verstanden hatte, dass ich morgens erst nach dem Frühstück ansprechbar war. „Ich… ich meins ernst. Was ist passiert?“ Hatte man ihr denn nicht erzählt, wozu man mich erpresst hatte? Und musste ich das jetzt klären? „Ti’An, wirklich…“

 „Unser Leutnant befindet sich noch im Halbschlaf, Magierin. Aus der werdet Ihr nichts heraus kriegen.“ Ach, verdammte Sturmflut, musste er denn immer noch damit weitermachen, mir den Morgen zu versauen? Und dann auch noch so unglaublich fröhlich und charmant und… Ich stutzte. Hatte ich das wirklich eben gedacht?

 „Wäret Ihr dann vielleicht so nett, mir zu erklären, was hier eigentlich vor sich geht?“ Oh, sie war auch nicht gut auf den Hauptmann zu sprechen. Woher das nun wieder kam? Ich sah von meiner Schüssel auf. Der Hauptmann zuckte mit den Schultern und sagte: „Sie hat mir das Leben gerettet.“ Justine schaffte es, mit einem Heben der Augenbraue mehr auszudrücken als mit einem ganzen Absatz. Da war es also wieder, das kleine Adelsfräulein. Momentan fand ich es aber doch sehr amüsant.

 Aber der Hauptmann grinste nur und sagte: „Für alles andere müsst Ihr Euch auf die Reise gedulden. Ich würde übrigens empfehlen, dass wir hier sobald wie möglich fertig werden. Wenn ihr noch religiöses Zeug vorhabt, solltet ihr euch beide damit beeilen. Ich werde mich derweil bei den Priestern umhören, ob sie irgendetwas Außergewöhnliches bemerkt haben.“ Er legte den Löffel zur Seite und schob die Schüssel und den Becher von sich. Ich bemerkte, dass er fast nichts gegessen und getrunken hatte, zog es aber vor, ihn nicht danach zu fragen. Vielleicht hatte er noch genug Energie. Von mir.

 Ohne ein weiteres Wort stand er auf und machte sich auf den Weg zum Tempel. Mit einem missmutigen – und sehr undamenhaften – Schnaufen sagte Justine: „Was bildet der sich eigentlich ein? Mir Befehle zu erteilen? Mir, einer…“ Sie machte einen kurzen Laut und sah mich dann mit zusammen gekniffenem Mund an. Ich sah sie warnend an und sagte leise: „Pass auf, was du herum erzählst. Muss ja nicht jeder gleich wissen, wer du bist. Und wer wir sind. Und was die Befehle angeht: Denkst du, mir gefällt es, von dem rumkommandiert zu werden? Aber er hat Recht, und wir tun gut daran, seine Befehle zu befolgen. Sobald du Recht hast, befolgen wir dann auch mal deine Befehle.“

 Ihre Lippen waren weiterhin ein dünner Strich, aber sie begann, unser Geschirr einzusammeln. Damit das Fräulein nicht allzu beleidigt war, nahm ich es auf mich, das Geschirr zur Ausgabe zurückzubringen. Sie rauschte ab nach wer weiß wohin, und ich entschied mich, meiner Göttin den ihr gebührenden Respekt zu erweisen. Auch wenn sie momentan scheinbar darauf aus war, mir eine Prüfung nach der anderen aufzubürden. Aber ich war gläubig, und ich war mir sicher, dass das alles irgendeinen Sinn hatte. Weswegen ich mich, nachdem ich gepackt hatte, auf den Weg zum Teil des Tempels machte, in dem der Schrein der Göttin stand.

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