„Wisst Ihr, was es für eine Kreatur war, die Euch angegriffen hat?“ Der Priester in der grauen Robe des Luftordens bedachte uns beide mit einem skeptisch-besorgten Blick, der mir nicht gefiel. Und ich alles, was ich wollte waren ein Bett für Justine und mich und ungefähr 3 Tage Schlaf. Aber an die war wohl immer noch nicht zu denken. Ich fuhr mir mit einer müden Bewegung durch die völlig verschwitzen Haare und schüttelte den Kopf. „Nein. Groß, haarig, rote Augen, Klauen…“
„Ein Werwolf also?“ Alles, dachte ich, alles, nur das nicht. Kein Werwolf. Bitte Göttin, kein Werwolf. Ich schüttelte den Kopf. „Ich… es war bereits früher Morgen. Werwölfe sind doch… nur nachts unterwegs. Und der Dolch… der war nicht aus Silber, aber er hat es trotzdem erledigt.“
Der Priester sah nicht gerade überzeugt aus. Aber er seufzte ein wenig schicksalsergeben und sagte dann: „Wie dem auch sei… es sieht nicht gut aus für Euren Hauptmann. Das Ding hat ihn übel zugerichtet, und wir… müssen sehen, ob wir überhaupt etwas für ihn tun können.“ Ich nickte nur müde, und spürte neben mir Justines Aura immer schwächer werden. Die Kleine war hundemüde, genau wie ich. Zeit, dass wir ins Bett kamen. „Eure… Exzellenz… gibt es hier die Möglichkeit, sich… auszuruhen? Wir sind beide erschöpft.“
Der Priester hob eine Augenbraue, wie um zu sagen: „Es ist gerade früher Morgen, junge Dame.“, aber er hielt sich zurück und winkte einen Novizen heran. Der Junge – seine etwas spitz zulaufenden Ohren wiesen ihn als jemanden mit Elfenblut aus – verbeugte sich kurz vor dem Priester und uns und führte uns dann auf Geheiß des Priesters in ein Nebengebäude des Tempels. Offenbar wurden hier die im Sommer in Scharen ankommenden Pilger versorgt. Die Betten waren einfach, mit Strohmatratzen, Wolldecken und einem Strohsack als Kissen, aber sie sahen sauber aus und waren alles, was man sich wünschen konnte.
Sofort als der Junge weg war, ließ ich mich mit einem wohligen Seufzen auf einer der Pritschen nieder und wäre fast sofort eingeschlafen, wenn mir nicht eingefallen wäre, dass es klüger wäre, zumindest Waffengehänge, Stiefel und Kettenhemd abzulegen, wenn ich einigermaßen ruhig schlafen wollte.
Etwas neidisch sah ich zu Justine hinüber. Sie hatte nur ihre Magierrobe, ein paar gefütterte Winterstiefel und einen Wintermantel an. Nachdem sie sich ihrer Stiefel entledigt hatte, hatte sie sich so wie sie war auf dem Bett zusammengerollt und musste sofort eingeschlafen sein. Ich wusste, dass es durchaus möglich war, dass sie mindestens zwei Tage durchschlief, denn sie musste sich beim Kampf und später beim Heilen fast völlig verausgabt haben.
Mit einem Ächzen entledigte ich mich meiner Bürden, auch, wenn ich immer wieder zusammenzuckte, wenn meine verbrannten Handflächen zu sehr belastet wurden. Als ich endlich fertig war, rollte auch ich mich in meinen Umhang ein und schloss mit einem Seufzen meine Augen.
Nur ein paar Momente später – jedenfalls erschien es mir so – merkte ich, wie wieder einmal jemand an meiner Schulter rüttelte und versuchte, mich aufzuwecken. Mit einem Grunzen versuchte ich die Hand loszuwerden, aber da war jemand wirklich hartnäckig. Mir war aber wirklich nicht nach Aufstehen. In meinem Kopf schien sich eine Zwergenbinge zu befinden, und ich selbst schien mich im Schlund eines Vulkans zu befinden. Heiß genug war mir jedenfalls.
„Leutnant… wacht auf. Man braucht euch im Tempel.“, hörte ich eine junge Stimme sagen und wollte ihr die miesesten Flüche auf den Hals hetzen, die ich kannte. Leider bekam meine ausgedörrte Kehle nur ein Krächzen zustande. Wie durch Watte hörte ich die Stimme dann sagen: „Herrin… Exzellenz, hier… stimmt was nicht.“ Natürlich, dachte ich, ich bin mitten in einem Vulkan. Da stimmt was ganz gewaltig nicht.
Ich spürte, wie man mich auf den Rücken drehte und wollte gerade protestieren, als ich plötzlich eine kühle weiche Hand auf meiner Stirn fühlte. Eine andere Stimme sagte: „Du hast völlig recht, Maarian. Sie glüht förmlich.“ Ich spürte, wie jemand begann, meinen Körper methodisch nach irgendwas abzusuchen und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass man endlich damit aufhören und mich in Ruhe lassen würde. Wäre das schön, wieder einschlafen zu können…, war mein einziger Gedanke.
Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen spürte ich, wie etwas Kühles und Feuchtes um meine Hände gewickelt wurde. Wäre ich dazu in der Lage gewesen, hätte ich wohlig geseufzt. Endlich hörte dieses Brennen auf. Ich fühlte die Hand wieder auf meiner Stirn, und kurz danach breitete sich ein unglaublich erleichterndes Gefühl in mir aus. Es war, als würde ich langsam in die erfrischenden Fluten eines Bergsees im Sommer gleiten, bis ich völlig unter Wasser war. Ich sog tief die Luft ein und plötzlich brachte meine Kehle einen Laut zwischen Seufzen und Stöhnen zustande.
Ich schlug die Augen auf. Über mich gebeugt saß eine Frau um die Vierzig in der tiefblauen Robe einer Wasserpriesterin. Als sie entdeckte, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte, glitt ein kurzes Lächeln über ihre ansonsten gleichmütigen Züge. „Ah, Leutnant, wie gut, dass Ihr so schnell wieder zu uns gefunden habt. Wir brauchen Euch und die Magierin.“ Vorsichtig setzte ich mich auf und warf einen kurzen Blick auf die noch schlafende Justine. Dann sah ich zu der Priesterin zurück.
„Die Magierin werdet Ihr nicht wach bekommen. Und das ist wohl auch gut so.“ Göttin, begann ich etwa, so etwas wie Kameradschaft oder gar Beschützerinstinkt der kleinen verwöhnten, ängstlichen Göre gegenüber zu entwickeln? Ich entschied mich, besser einfach nicht mehr darüber nachzudenken. Stattdessen wandte ich mich endgültig wieder der Priesterin zu. „Worum geht’s eigentlich?“
Die Priesterin tauschte einen Blick mit ihrer Novizin. Nur den Bruchteils eines Moments lang, aber ich konnte es trotzdem sehen. Und es gefiel mir ganz und gar nicht. Und noch weniger gefiel mir der Blick, den sie mir dann zuwarf. „Besorgt“ beschrieb es wirklich nur unzureichend. „Es gibt… Probleme mit Eurem Hauptmann.“
Ich hob eine Augenbraue. „Probleme? Und er ist nicht mein Hauptmann. Wir sind… nur zufällig zusammen unterwegs.“ Musste ja nicht jeder gleich wissen, dass wir auf der Jagd nach ein paar durchgeknallten religiösen Fanatikern – oder was auch immer sie waren – waren. Die Priesterin behielt erstaunlicherweise ihren Gleichmut bei. „Wie dem auch sei… wir befürchten, dass er die Nacht nicht überleben wird. Seit Stunden geben unsere Heiler ihr Bestes, aber… er ist zu geschwächt, um aus eigenen Kräften gegen die Verletzungen ankämpfen zu können.“
Göttin… ich hatte das doch erwartet… aber wieso war mir bei dem Gedanken, dass der Hauptmann seinen Verletzungen erliegen würde nur so flau zumute? Zu sagen, dass es nur aus dem einen Grund war, dass er die einzige Verbindung zu der ganzen Entführungsgeschichte war, wäre glatt gelogen. Aber es war zu dieser Zeit die einzige akzeptable Erklärung, also klammerte ich mich daran, dass mir nichts – aber auch wirklich nichts – an der Person des Hauptmanns gelegen war. Offenbar war mein Gesicht wohl mal wieder ein offenes Buch gewesen, denn die Priesterin fuhr fort: „Wir haben uns lange beraten und eine Möglichkeit gefunden, die ihm helfen könnte zu überleben.“
Die Frage „Und wozu braucht Ihr mich bei der ganzen Geschichte?“ muss wohl auch deutlich in meinem Gesicht gestanden haben, denn sie sagte: „Wir brauchen… aber Eure Kooperation dazu. Nun ja, entweder Eure oder die der Magierin. Aber da Ihr der Meinung seid, dass wir die Magierin besser nicht wecken sollten… Kommt Ihr als einzige in Betracht.“
„Als einzige für was?“ Mein Ton musste eine Spur zu scharf gewesen sein, denn die Novizin zuckte sichtbar zusammen. Die Priesterin blieb allerdings immer noch ruhig. „Für einen Bund.“
Ich sog scharf die Luft ein. „Einen was? Seid Ihr noch ganz…“ Ich räusperte mich. Einer Priesterin – und dann noch einer meines Ordens – dermaßen respektlos zu kommen, das wagte nicht mal ich. Etwas gemäßigter fuhr ich fort: „Das ist… ausgeschlossen. Ich bin eine Wassersoldatin, falls Euch das noch nicht aufgefallen ist. Ich könnte niemals mit einem Feuersoldaten den Bund eingehen.“
Die Priesterin sah mich mit einem seltsamen rätselhaften Blick an und sagte dann: „Es sind schon seltsamere Dinge passiert, Leutnant. Und es ist die einzige Chance, das Leben des Hauptmanns zu retten. Er braucht Eure Energie. Habt Ihr nicht auch wie alle Soldaten Seiner Majestät geschworen, das Leben Unschuldiger und Schwacher zu verteidigen?“ Das war ein verdammter Tiefschlag, und ich war mir ziemlich sicher, dass die Priesterin es wusste. Wie konnte sie nur? Mit dieser Argumentation musste ich ja zusagen. Aber ich war nicht gewillt, so schnell aufzugeben.
„Das habe ich. Aber der Hauptmann… ich kann nicht. Ich kann mich nicht mit einem Feuersoldaten Verbinden. Der Bund wäre instabil, ganz zu schweigen von der Frage, ob er überhaupt zustande kommen würde. Soweit ich weiß, muss er doch von beiden Seiten freiwillig eingegangen werden, oder?“ Die Priesterin nickte. Natürlich musste er. Der Bund – eigentlich hieß es „Waffengefährten“ – war die heiligste aller Verbindungen, die es im Reich gab.
Er wurde zwischen zwei Soldaten geschlossen, meistens Angehörige der Schweren Boten Seiner Majestät. Man sagte, dass Waffengefährten immer voneinander wussten, wo sich der andere befand und wie es um ihn bestellt war. Man sagte auch, dass sie telepathisch miteinander in Verbindung standen. Aber vor allem… vor allem sagte man, dass ihre Lebensernergien untrennbar miteinander verbunden waren. War der eine verletzt, so teilte der andere automatisch seine Lebensenergie mit ihm, so lange bis er wieder genesen war. War der eine todmüde, so teilte der andere seine Lebensenergie so lange mit ihm, bis er wieder ausgeruht genug war. Das Gleichgewicht der Energien musste immer gewahrt sein. Was am Ende eines hieß: Starb der eine, würde auch der andere sterben. Oder zumindest zum geistigen Krüppel werden. Die Geister schieden sich immer noch etwas an dieser Frage.
Der Bund wurde fürs Leben geschlossen, und ich hatte noch von keinem gehört, der ihn je vorzeitig gelöst hatte. Es ging vermutlich einfach nicht. Normalerweise bereitete man potentielle Waffengefährten mindestens ein Jahr, meistens viel länger auf diese Sache vor. Man ließ sie Tag und Nacht miteinander verbringen, man stellte sicher, dass sie sich ihrer Sache wirklich völlig sicher waren… und man schärfte ihnen immer und immer wieder ein, dass sein eines nicht durften: Gefühle, die tiefer als Freundschaft oder Kameradschaft gingen, füreinander zu entwickeln. Die Waffengefährten, die ich kannte, hatten einen seltsam vertrauten und gleichzeitig distanzierten Umgang miteinander an den Tag gelegt. Erst, als mir einer von ihnen erklärte, was genau es mit dem Bund auf sich hatte, begann ich zumindest zu verstehen.
Und das verlangte diese Priesterin jetzt von mir? Ich sollte mit einem mir völlig Unbekannten den Bund eingehen, mit dem ziemlich großen Risiko, dass es schief ging und ich dann zusammen mit ihm das Zeitliche segnete? Nur über meine Leiche. Ich sagte das der Priesterin, aber sie erwiderte nur: „Es ist das Einzige, das ihm helfen könnte. Ihr seid jung und stark, und Ihr habt Magie in Euren Adern. Verweigert ihm nicht die einzige Chance, die er hat. Und wenn Ihr es tut… dann müssen wir die Magierin wecken, ob Euch das nun passt oder nicht.“
Sie hatte tatsächlich die Frechheit, mich rundheraus zu erpressen. Ich funkelte sie wütend an, aber was blieb mir denn anderes übrig? Sie hatte bereits an mein Gewissen appelliert, und das mit Erfolg, denn eben dieses meldete sich immer lauter zu Wort. Und sie hatte an meine Verantwortung für unsere kleine Magierin appelliert, und auch die war ziemlich laut. Nach einem weiteren wütenden Funkeln gab ich mich schließlich mit einem resignierten Seufzer zufrieden, die ganze Zeit über mit der verzweifelten Hoffnung, nicht eben meine eigenes Todesurteil unterschrieben zu haben.
Mit einem kleinen zufriedenen Lächeln erhob sich die Priesterin und bedeutete mir und ihrer Novizin, ihr zu folgen. Zähneknirschend fügte ich mich in mein Schicksal.